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„Extremisten-Krieg“ auf dem Sonnenberg oder normale sächsische Zustände?

Extremisten bekriegen sich auf dem Sonnenberg!“ und „Gewaltspirale im „Nazikiez“, so titelten die Chemnitzer Tageszeitungen in den letzten Wochen über die Geschehnisse auf dem Sonnenberg. Was war geschehen? Seit etwa einem Jahr treibt die Nazi-Gruppe „Rechtes Plenum“ in diesem Chemnitzer Stadtteil ihr Unwesen. Mit eindeutigen Graffitis wie „Nazikiez“, „I love NS“ oder „Zecken auf´s Maul“, einer starken Präsenz in den sozialen Medien und Netzwerken, wie zum Beispiel Facebook, der Organisation einer „Demoschulung“ für Gleichgesinnte, aber auch durch das gezielte „Bestreifen“ des Stadtteils und körperliche Angriffe auf Andersdenkende versuchte die Gruppe, sich einerseits im nationalen Potpourri von Chemnitz zu etablieren und andererseits den Sonnenberg zur national befreiten Zone zu machen, in der Andersdenkende und Menschen, die nicht in ihr verqueres Weltbild passen, nicht mehr ohne ständige Bedrohung und Angst leben können. Das „Rechte Plenum“ verbindet dabei einen „hippen“, subkulturellen Lifestyle mit zum Beispiel veganer Ernährungsweise und Street Art mit militantem Aktivismus und dem offenen Bekenntnis zum Nationalsozialismus. Dafür sind sie teilweise aus Dortmund und anderen Städten gezielt nach Chemnitz gekommen. Ins Bild passen auch die unzähligen Angriffe auf das Bürgerbüro der LINKEN Landtagsabgeordneten Susanne Schaper, die wahrscheinlich mit dem „Rechten Plenum“ in Verbindung stehen. Anfang November gab es ein umfangreiches Outing der Mitglieder des „Rechten Plenums“ durch eine antifaschistische Gruppe auf der Plattform „Indymedia“. Die Mitglieder des Rechten Plenums mussten daraufhin ihre Aktivitäten in den sozialen Netzwerken größtenteils einstellen. Des Weiteren wurde ein Brandanschlag auf das Auto eines Mitglieds der Gruppe verübt. Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten: In der Nacht vom 7. zum 8. November wurde auf das „Lokomov“, einen alternativen Club auf dem Sonnenberg, in dem unter anderem ein Theaterprojekt stattfinden sollte, das sich mit dem Auffliegen des „Nationalsozialistischen Untergrundes“ (NSU) auseinandersetzt, ein Sprengstoffanschlag verübt. Schon an dieser Stelle müsste eigentlich klar werden, wie peinlich die Totalausfälle der Chemnitzer Zeitungen sind: Auf der einen Seite steht eine Gruppe, die seit mehreren Monaten einen ganzen Stadtteil und seine Bewohner_innen nach Gutdünken terrorisiert, dergestalt als Gegensouverän fungiert und dementsprechend auch nicht vor Toten zurückschrecken würde (wie es seit der Wende deutschlandweit auch schon 180 mal der Fall war). Überdies handelt diese Gruppe in einem Großraum, der seit gut 30 Jahren von faschistischen Kräften bevölkert wird, eine Gegenkraft also, die in dieser Stadt schon beinahe Inventar ist. Auf der anderen Seite ist ein Kollektiv von linken Aktivist_innen, deren „Schuld“ darin besteht, sich über Monate massivster persönlicher Bedrohung auszusetzen, um die Arbeit zu erledigen, zu der Chemnitzer Ermittlungsbehörden offenbar weder willens noch im Stande sind. Das angezündete Auto, zugegebenermaßen keine Methode, die wir als Mitglieder von DIE LINKE präferieren würden (und das ist auch gut so), ist darüberhinaus offenbar eine Tat von einzelnen und einigen wenigen Personen. Der offensichtliche Grund: Eine linke Szene, die an Stärke und Organisationsgrad auch nur im Mindesten an die der Faschist_innen heranreichte, fehlt in Chemnitz vollständig. Außerdem muss man festhalten, dass das Anzünden eines Autos eben nicht, wie die Aktionen des Rechten Plenums, darauf abzielt, Menschen zu töten. Vielmehr ist es wahrscheinlich eher der (zugegebenermaßen klägliche) Versuch, die Faschist_innen einzuschüchtern und vom Sonnenberg zu vertreiben. Generell ist eine „Extremismustheorie“ zu kritisieren und abzulehnen, die eine „gute, unproblematische Mitte“ konstruiert, von der sich links und rechts gleichsam „böse“, „extremistische Ränder“ abheben. Sie ist eine Herrschaftsideologie, die der Verfassungsschutz und ihm nahestehenden Wissenschaftler_innen seit den 70er Jahren propagieren. „Extremismus“ ist ein konservativer Kampfbegriff, der nationalsozialistische und faschistische Positionen mit linken, antifaschistischen, egal ob militant oder nicht, gleichsetzt und damit verächtlich machen will. Er ist zudem wissenschaftlich nicht haltbar. Das zeigen auch die kürzlich veröffentlichten Ergebnisse des „Sachsen-Monitor“: 62 Prozent der Befragten stimmen der Aussage zu, es brauche „eine starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert“. 39 Prozent wollen Menschen islamischen Glaubens die Zuwanderung verwehren. 25 Prozent unterstellen „den Juden“, dass sie die Shoa zu ihrem Vorteil instrumentalisieren würden. 18 Prozent glauben, dass „die Deutschen (…) anderen Völkern von Natur aus überlegen“ seien. Das zeigt, wie weit vermeintlich „rechtsextreme“ Einstellungen in der gesellschaftlichen „Mitte“ gerade auch in Sachsen verbreitet sind. Das ist der Nährboden, auf dem Gruppen wie das „Rechte Plenum“ gedeihen. Dem wird eine Berichterstattung nicht gerecht, die das Problem auf sich bekriegende „Extremist_innen“ verkürzt, unter die kurzerhand und implizit auch gleich mal eine Politkerin der LINKEN subsumiert wird, die selbst vom Naziterror betroffen ist. Gleichzeitig wird von einer herrschenden CDU geschwiegen, die sich „nationale Wallungen“ wünscht, erklärt, dass „der Islam“ nicht zu Sachsen gehöre und auch friedliche Antifaschist_innen bei jeder Gelegenheit kriminalisiert. Die „sächsische Union“, nach rechts nicht ganz dicht, hat diese Zustände zu verantworten und verschärft sie durch ihr Anbiedern an autoritäre und nationalistische Positionen weiter. Eine Presse, die das nicht erwähnt, hat ihren Anspruch als kritische Kontrollinstanz längst aufgegeben.

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Extremismusmisere: politische Handlungen nach Motiven und Folgen untersuchen

Obwohl uns die Eigenheiten der sächsischen Justiz durchaus vertraut waren, herrschte in unserer Gruppe am Montag erst mal ungläubiges Staunen, als wir lesen mussten, dass der Polizist, der im Februar 2015 einen jungen Antifaschisten beim „Cegida“- Gegenprotest geschlagen hatte, freigesprochen wurde. Der zuständige Richter argumentierte, der Schlag in die Magengrube sei ein verhältnismäßiges „Mittel der Schocktechnik“. Dieses Wort meint Handlungen von Vollzugsbeamten, die den Widerstand eines Festgenommenen brechen sollen. Das Problem: Der junge Mensch hatte sich gar nicht gegen seine Festnahme gewehrt. Dennoch bewertete das Landgericht, anders als die Erstinstanz, die Tat als legitim und bewahrte den Polizisten damit vor einer Geldstrafe. Die Idee, die dahinter steht, findet sich inzwischen auch in vielen Reaktionen auf das Urteil: Um echte oder vermeintliche Feinde des Staates abzuwehren, darf ein Vollzugsbeamter auch Gewalt anwenden, die in anderen Kontexten unverhältnismäßig wäre. Um diese Politik praktisch zu machen, ist es notwendig, jungen Antifaschist*innen generell zu unterstellen, sie seien gewalttätig und staatsfeindlich. Folgerichtig äußern sich auch viele Kommentator*innen: Der Demonstrierende habe Pech gehabt, wer Steine werfe, sei selbst schuld, wer eine Straftat begehe, müsse nun einmal damit rechnen. Dass auf der Versammlung keine Steine geschmissen wurden (übrigens bisher an keinem Montag) und der junge Mann auch keine Straftat begangen hatte, interessiert hier nicht. Dass der Staat sich von sogenannten Linken trotzdem bedroht sieht, erkennt man auch in der Reaktion auf die Ausschreitungen vom 12. Dezember in der Leipziger Südvorstadt. Auf die Ankündigung faschistischer Gruppen, an diesem Tag den linken Stadtteil Connewitz in Schutt und Asche zu legen, folgte ein Polizeieinsatz, der sich von Deeskalation völlig verabschiedet hatte und damit auch dazu führte, dass einige linke Gegendemonstrant*innen mit entsprechender Gegengewalt antworteten. Die Reaktionen auf diesen Tag waren teilweise abstrus: Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung sprach von „offenem Straßenterror“. Was daran interessant ist? Nach Leipzig waren sich wichtige oder weniger wichtige Politiker*innen nicht zu schade, hartes Vorgehen gegen die Gewalttäter*innen zu fordern und Dinge wie Gummigeschosse ins Gespräch zu bringen. Gleichzeitig war es nach den Randalen in Heidenau, den Angriffen in Freital und unzähligen anderen Übergriffen auf Geflüchtete und ihre Heime auffallend still. Niemand sprach von Terror. Niemand wollte Gummigeschosse einsetzen oder die Demonstrierenden als das bezeichnen, was sie sind: Rassist*innen, Faschist*innen, Nazis. Stattdessen wurde allzu oft ein politischer Hintergrund ausgeschlossen. Die Schlüsse, die man aus dieser Haltung zieht, sind klar: insgesamt betrachtet sind sogenannte „Linksextremist*innen“ schlimmer als „Rechtsextremist*innen“. Diese Wichtung wird auch nicht relativiert durch die Aussage von Herrn Jung nach dem Naziüberfall auf Connewitz vom 11. Januar, dass auch dies „offener Straßenterror“ sei. Vielmehr wird hier die ganze Misere deutlich: Obwohl das Ausmaß der Gewalt deutlich unterschiedlich war, ist es für den OB offenbar kein Unterschied. 1) Den Ursprung der Misere findet man in der sogenannten Extremismustheorie. Wird sie eingesetzt, um politische Aktionen zu bewerten, dann werden Motive und Auswirkungenausgeblendet. Das Augenmerk liegt einzig und allein in der Haltung der Akteur*innen zum Staat. Die Folge: Kräfte, die als linksextremistisch gelten werden gleichgesetzt mit denen, die rechtsextremistisch seien. Die jeweiligen Taten werden als gleichwertig angesehen. Will heißen: Eine entglaste Bushaltestelle und ein brennendes Asylsuchendenheim sind „gleich schlimm“. Man erkennt schon an diesem Beispiel, dass die Extremismustheorie einzig und allein den Sinn hat, linke Politik zu diskreditieren. 2) Indem sich damit der Fokus noch weiter gen links verschiebt, verlieren politische Akteur*innen Aktivitäten von rechts aus dem Auge. Damit ist erklärbar, wie es zu einem solch exzessiven Anstieg rechtsterroristischer Gewalt wie in Sachsen 2015 kommen konnte, während Staat und Polizei damit beschäftigt sind, vermeintliche „Linksextremist*innen“ zu verfolgen. Die Folgen dieser Politik sind verheerend: Ausländisch gelesene Personen befinden sich in Sachsen mehr und mehr in einer dauerhaften Bedrohungssituation, Linke werden von Staat und Nazis gleichzeitig verfolgt und auch der Staat verliert mehr und mehr seine Legitimationsgrundlage, weil es ihm nicht gelingt, brennende Geflüchtetenheime als das zu benennen und zu verfolgen, was sie sind: rechter Terrorismus. Damit geht der Schuss, Staatsfeind*innen zu denunzieren und zu verfolgen, nach hinten los. Ein Ausweg aus der Extremismusmisere wäre es beispielsweise, politische Handlungen nach Motiven und Folgen zu untersuchen. Dann würde man klar erkennen, dass das Motiv hinter Naziaktivitäten Menschenfeindlichkeit ist und ihre Folgen tendenziell tote Menschen sind. Man könnte genau so wirksam linke Akte klassifizieren, ohne sich Bedrohungsszenarien ausdenken zu müssen, in denen der Schwarze Block überall im Lande kommunistische Kommunen errichtet und die staatliche Ordnung zerstört.

1) Am 12. Dezember brannten neben Holzbarrikaden auch Mülltonnen. Außerdem waren entglaste Bushaltestellen und eine kaputte Bank zu beklagen. Am 11. Januar zogen mehrere hundert Nazis durch Connewitz, zerstörten etwa 30 Geschäfte und setzten eine Wohnung in Brand.

2) Dass auch historisch gesehen die Motivation hinter der Extremismustheorie Antikommunismus war, legt Wolfgang Wippermann sehr schön dar: http://gleft.de/1at

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„Nazis? Antifas?…Alles Extremist_innen!“

Häufig sehen sich antifaschistisch engagierte Menschen bei Gesprächen mit weniger bis gar nicht politisierten Freund_innen und Bekannten mit so oder so ähnlich lautenden Aussagen konfrontiert: „Ich bin ja auch gegen Nazis, aber die Antifa …, die ist doch genauso schlimm! Mit denen will ich auch nichts zu tun haben“. Mal abgesehen davon, dass es DIE Antifa gar nicht gibt, sondern eine Vielzahl sehr verschiedenartiger und eigenständiger antifaschistischer Gruppen existiert, lassen solchen Aussagen erkennen, dass die aussprechende Person eine besondere Herrschaftsideologie verinnerlicht hat. Es handelt sich um die sogenannte „Extremismustheorie“. Diese geht, vereinfachend dargestellt, davon aus, dass, neben einem „guten“, die „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ (FDGO) der BRD anerkennenden, „mittleren“ Spektrum politischer Parteien, Organisationen und Personen, am linkem und rechtem Rand „extremistische“ Positionen vertreten seien, die beide in ähnlicher Art und Weise eben diese FDGO ablehnen und sie auch mit den gleichen, gewaltsamen Mitteln abschaffen wollen würden, weshalb sie vom demokratischen Staat gleichermaßen zu bekämpfen seien. Versinnbildlicht wird dies zumeist mit einem Hufeisen, das zudem die vermeintliche Gleichartigkeit und Nähe sog. „linksextremer“ zu „rechtsextremen“, d.h. nationalsozialistischen oder faschistischen Positionen verdeutlichen soll.