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Stellungnahme zum „Appell des Ostdeutschen Kuratoriums der Verbände e.V. und weiterer Vereine“

Wir als Mitglieder der Linksjugend Chemnitz haben den „Appell des Ostdeutschen Kuratoriums der Verbände e.V. und weiterer Vereine“ zur Kenntnis genommen und teilen den allgemeinen, dahinter stehenden Wunsch nach Frieden und einer Welt ohne Krieg oder anderer Formen der gewaltsamen Konfliktaustragung. Nicht einverstanden sind wir hingegen mit der Art und Weise, wie dieser Wunsch vorgetragen und begründet wird. So bezweifeln wir, dass die Entstehung von Konflikten in der heutigen Zeit mit einer aus den Zeiten des Ost-West-Konfliktes stammenden Imperialismustheorie noch adäquat erklärt, geschweige denn begriffen werden kann. Dieser Erklärungsansatz führt zwangsläufig zu Einseitigkeiten, wie sie auch im Appell deutlich werden.

Zwar wird richtig erkannt, dass gewaltsame Konfliktaustragungen immer und überall, egal von wem sie ausgehen, „brutale Erscheinungsformen“ mit sich bringen, im gleichem Atemzug werden jedoch die USA und Israel als besonders perfide Kriegstreiber gebrandmarkt. Kein Wort wird hingegen verloren über die Gewalt, der insbesondere auch die israelische Bevölkerung durch Gruppen wie Hamas, dem Islamischen Dshihad oder Hizbollah ausgesetzt sind. Deren Angriffe sind eben nicht nur Reaktionen auf eine „imperialistische“ Politik Israels, auch wenn z.B. dessen Siedlungspolitik durchaus kritisiert werden sollte. Hamas und andere bestreiten jedoch nicht nur das Existenzrecht des Staates Israel, sondern auch das seiner jüdischen Bevölkerung, deren Vernichtung sie sich zum Ziel gesetzt haben. Mit, wenn auch glücklicherweise beschränkten Mitteln der asymmetrischen Kriegsführung in Form z.B. von Terroranschlägen oder Raketenbeschuss versuchen sie ihren Wahn zu verwirklichen, wobei insbesondere zivile Ziele attackiert werden. In ihrem wahnhaften Vernichtungsantisemitismus, der sich imperialimustheoretischen Erklärungsansätzen entzieht, werden sie von dem theokratischen Mullahregime des Iran unterstützt. In seinem Streben nach Hegemonie in der Region und zur Verbreitung seiner reaktionär-irrationalen „Islamischen Revolution“ agiert dieses seinerseits dezidiert „imperialistisch“, indem es diese Gruppen als seine Stellvertreter instrumentalisiert.

Ähnlich stellt sich die Situation in Syrien dar. Das Assad-Regime, der engste Verbündete des Iran in der Region, kämpft in einem blutigen Bürgerkrieg gegen einen nicht unerheblichen Teil seiner eigenen Bevölkerung. Selbst wenn Teile der syrischen Opposition aus einer linken, auf Demokratie und Säkularismus bestehenden Perspektive als wenig emanzipatorisch einzuschätzen sind, rechtfertigt dies dennoch nicht das brutale Vorgehen des Regimes. Dabei wird es zudem offen vom Iran unterstützt, der, indem er direkt in den Bürgerkrieg interveniert, d.h. sich in die inneren Angelegenheiten Syriens einmischt, auch in diesem Fall „imperialistisch“ agiert. Da für die Autor_innen des Appells scheinbar jedoch nur der „Westen“ „imperialistisch“ handeln kann, verlieren sie auch über diesen Sachverhalt kein Wort.

Dass die Türkei als NATO-Mitglied ihrerseits in dem Konflikt ihre eigenen, ebenfalls auf regionale Hegemonie abzielenden Interessen verfolgt und damit der Einsatz von Patriots, die eben nicht nur wie von den Mainstreammedien suggeriert „defensiv“ eingesetzt werden können, kritisch zu hinterfragen, wenn nicht abzulehnen ist, steht außer Frage. Aber es ist eben nicht nur, wie von dem Artikel und plumper noch von der, in der Dezemberausgabe des „Klaren Blicks“ erschienenen Karikatur nahegelegt wird, der „Imperialismus“ der USA oder Israels, der diese Region zu einem Pulverfass macht, bei dessen Explosion unsägliches Leid über die überwältigende Mehrheit der dort lebenden Menschen kommen würde.

Ebensowenig ist dem Appell zuzustimmen, wenn er von einem mehrheitlich „friedliebenden“, „deutschen Volk“ ausgeht, dessen Regierung es wider Willen in „militärische Abenteuer“ stürzen würde. Generell ist der ständige Bezug auf das exklusive, soziale Konstrukt „deutsches Volk“, „Deutschland“, oder gar „unser Land“ schwer erträglich und sollte lieber denjenigen überlassen werden, die alljährlich am 05.03. in Chemnitz auf der anderen Seite der Hamburger Gitter marschieren. Weiterhin lehnt zwar in Umfragen regelmäßig eine Mehrheit der Menschen Kriegseinsätze ab, weitergehende Folgen jedoch ergeben sich daraus nicht. Weder in außerparlamentarischen Protesten, noch bei Wahlen realisiert sich seit vielen Jahren dieser vorgebliche „Mehrheitswille“, obwohl es genug Anlässe und Möglichkeiten gegeben hätte. Sicher gibt es auch eine große Anzahl von Menschen, die inaktiv sind, weil sie der Meinung sind, dass Einmischung, bzw. politische Aktivität nichts nützt. Die Nichtbeachtung großer Widerstandsbewegungen durch die Politik, etwa bei den Protesten gegen die Agenda 2010, hat viele Menschen enttäuscht und desillusioniert. Dass daraus ein Rückzug ins Unpolitische erfolgt, ist nachvollziehbar, auch wenn es im Grunde genommen kontraproduktiv ist – Wer schweigt, macht sich indirekt mitschuldig.

Ebenso bleibt festzuhalten, dass die BRD einer der weltweit größten Rüstungsexporteure ist, wovon ein nicht zu unterschätzender Anteil der Bevölkerung direkt oder indirekt profitiert, was sich u.a. auch in der ambivalenten Haltung z.B. der IG Metall zur Rüstungsindustrie niederschlägt. Schließlich ist die BRD nicht das unbedarfte „Missbrauchsopfer“ eines „weltweit agierenden Imperialismus“, sondern aus eigenem Antrieb und, wie oben angedeutet, unter zumindest passiver Duldung eines Großteils ihrer Bevölkerung eine sich imperialistisch verhaltende Macht, was zur Zeit insbesondere die Menschen in der südlichen Peripherie Europas ökonomisch zu spüren kriegen.

Wir denken: Frieden kann nicht von einem Land und schon gar nicht für „Völker“ ausgehen. Die Struktur des Weltsystems als Ganzes, von der kapitalistischen Produktionsweise, deren Produktionsverhältnissen und ideologischen Erscheinungsformen inhaltlich und in der Form bestimmt, ist für Krieg und Gewalt verantwortlich. Das Verweisen auf einige „imperialistische Schurkenstaaten“ ist hierbei eine verkürzte Art der Kritik dieser durchaus kritikwürdigen Zustände. Frieden kann daher nur das Produkt der Erkenntnis sein, dass einzig durch das Hinterfragen und die Veränderung dieser Struktur in ihrer Gesamtheit, diese menschenunwürdigen Zustände überwunden werden können.

Deshalb: Kein Friede mit den herrschenden Zuständen!