In der Bahn hörte ich Gesprächsfetzen. Das Stadtfest wurde abgebrochen. Ich fragte mich warum. Hatte es was mit dem Mord in der Nacht zum Sonntag zu tun von dem ich etwas gehört habe? Am 26. August gegen 16.00 Uhr bin ich vom Hauptbahnhof mit der Straßenbahn zur Haltestelle Brückenstraße gefahren. Ich wollte zur Arbeit eilen da ich nur noch wenige Minuten Zeit hatte bis meine Schicht anfing. Die Bahn fuhr nicht wie gewohnt geradeaus zur Haltestelle Roten Turm, sondern musste abbiegen. Der Grund ist das am 24. August begonnene Stadtfest. An der Straßenecke Brückenstraße/Straße der Nationen direkt vor dem Alanya hatte die AfD einen Stand. Groß aufgefahren mit einem LKW, in den Farben der AfD, unverkennbar. Sie sind Teil des Stadtfestes Chemnitz. Das habe ich die Tage zuvor schon registriert.Als die Bahn abbog und an dem AfD Stand vorbei fuhr, sah ich eine Menge an Menschen. Menschen in Anzug sowie Menschen mit eindeutigen Nazi-Symbolen auf ihren T-Shirts. Sie standen überall. Ich habe mich gewundert und stieg aus. Sie waren sogar auf der anderen Straßenseite, mit Sonnenbrillen. Als ich einige Bekannte auf dem Gegenprotest sah, fragte ich was los sei. Sie erzählten mir dass mobilisiert wurde wegen des Mordes in der Nacht. Die Gegenprotestler waren sichtlich nervös und ich fragte wieso. Sie sagten sie fühlen sich nicht ausreichend geschützt und dass die Nazis überall seien.Ich musste weiter zur Arbeit. Ich arbeitete direkt in der Innenstadt und konnte abends gegen halb 10 nach Hause. Ich bekam zum Glück nichts mit von den Nazis die durch die Straße zogen. Meine Arbeitskolleginnen wollten in Gruppen nach Hause gehen. Also bin ich mit einer Arbeitskollegin nach Hause gelaufen. Uns ist nichts passiert, aber es lag ein ungewohntes Gefühl in der Arbeitsatmosphäre. Die älteren Arbeitskolleginnen wollten uns jüngere nicht alleine auf die Straße lassen.
Es wurde zum Montag den 25.August zum Trauermarsch der Partei Pro Chemnitz gerufen. Einige Vereine rieten People of Colour davon ab auf die Straße zu gehen und sich an den Gegenprotest zu beteiligen. Ich beteiligte mich an den Gegenprotest. Zu meiner Freude kamen andere People of Colour. Es kamen viele Vertreter aus der Politik sowie die internationale Presse. Auf beiden Seiten kamen mehrere tausend Menschen zusammen. Ich ging von einem normalen Protest aus. Mir war allerdings sehr wohl bekannt dass der Trauermarsch zahlenmäßig überlegen war und es nicht um Trauer ging. Gewaltbereite Nazis reihten sich neben besorgten Bürgern. Ich erinnere mich wie ich andere Brücke stand und ein Freund zu mir sagte: “ Wenn du heute nach Hause gehst, musst du ganz sehr auf dich aufpassen.“ Natürlich,erwiderte ich. Das mache ich doch immer. Als es ausartete war ich in unmittelbarer Nähe. Eine kleine Massenpanik brach aus und alle rannten weg. Auch ich rannte weg, ich wollte nach Hause. Die Polizei hat jedoch alles abgesperrt. Als sich die Lage allmählich beruhigte gingen meine Freundin und ich wieder zurück zum Gegenprotest und trafen uns mit den anderen Menschen wieder mit denen wir da waren. Es wurde dunkler und wir konnten nicht wie geplant einen Protest in Hör-und Sichtweite machen, einfach weil es zu gefährlich war. Menschen,vornehmlich People of Colour gingen ans Mikrofon und erzählten vom Sonntag, als die Nazis sie in der Stadt konfrontierten. Als die Demonstration beendet wurde, ging ich mit einer Gruppe nach Hause.Wieder passierte uns nicht. Die ganze Nacht hörte ich Hubschrauber und konnte nicht aufhören die Tweets zum 25. August in Chemnitz lesen.
Der zweite Aufrufzum Protest war der 1. September. Diesmal waren die beiden Lager räumlich deutlicher getrennt. Der Trauermarsch begann am AfD Büro auf der Theaterstraße mit entsprechender Prominenz á la Björn Höcke. Der Gegenprotest war auf dem Parkplatz am Johannisplatz mit einer Bühne wo viele Redebeiträge stattgefunden haben und dann auch Madsen und Egotronic aufgetreten sind. Mit einigen Freunden habe ich mich an der Blockade auf der Bahnhofsstraße(?) beteiligt. Irgendwann bin ich mit einer Freundin Richtung Brückenstraße/Straße der Nationen gelaufen. Wir wollten sehen ob dort ein Blockadeversuch stattfindet. Einige Momente später wurde tatsächlich ein Blockadeversuch gestartet, leider ohne Erfolg. Die Polizei kam von allen Richtungen und haben die Gegendemonstranten zurückgedrängt.Meine Freundin und ich wurden lediglich von einem Polizisten herumgeschubst, in den Kessel wurden wir nicht zurückgedrängt. Wir liefen durch die Innenstadt. Wir sahen Polizisten Antifaschisten hinterherlaufen und Nazis an uns vorbei laufen. Ganz normal in Chemnitz. Alle regen sich um das zerstörte Image der Stadt auf. Gibt es nicht wichtigeres in dieser Zeit?
Ich bin nun umgezogen. Ich lebe nicht mehr in Chemnitz und das seit gut einem Monat. Lediglich am Wochenende komme ich meine Familie besuchen.Manche meinen es war genau der richtige Zeitpunkt dass ich aus der Stadt der Moderne wegzog. Da ich Chemnitz nur an manchen September Wochenenden besuchte, blieben mir trotzdem einige merkwürdige Eindrücke. Als ich nach zwei Wochen mal wieder in Chemnitz war, traf ich mich mit einer Freundin in der Innenstadt. Uns sind zwei alkoholisierte Männer entgegengekommen. Sie schauten uns schief an,aber sagten nichts. Als sie einige Meter weiter weg waren, riefen sie „Heil Hitler“. Anderes Wochenende, am Rosenhof sah ich Nachbarn. Sie saßen da mit ihrem Hund. Ein paar Männer sind mir entgegengekommen und setzten sich zu den Nachbarn. Genau dasselbe Szenario. Zur Begrüßung wurde Heil gesagt. Wenn ich Freitag abends in Chemnitz unterwegs bin, habe ich ein unsicheres Gefühl, weil ich weiß, dass in der Innenstadt die Demonstration stattfindet und ich häufig durch die Innenstadt muss. Ich lese gelegentlich von Artikeln die Geflüchtete zu Wort kommen lassen. Sie wollen raus aus Chemnitz,weil sie sich unsicher fühlen und attackiert wurden. Ich denke ich habe Glück dass ich noch nicht angegriffen wurde und somit meine Angst sich in Grenzen hält. Wie sagt man so schön: Was nicht ist,kann ja noch werden. Da Chemnitz nun als die Nazihochburg abgestempelt wird, muss das Image wieder aufgebessert werden, weil Kulturhauptstadt 2025 und so, bevor die anderen Themen drankommen.
Eure Quotenmigrantin