Obwohl uns die Eigenheiten der sächsischen Justiz durchaus vertraut waren, herrschte in unserer Gruppe am Montag erst mal ungläubiges Staunen, als wir lesen mussten, dass der Polizist, der im Februar 2015 einen jungen Antifaschisten beim „Cegida“- Gegenprotest geschlagen hatte, freigesprochen wurde. Der zuständige Richter argumentierte, der Schlag in die Magengrube sei ein verhältnismäßiges „Mittel der Schocktechnik“. Dieses Wort meint Handlungen von Vollzugsbeamten, die den Widerstand eines Festgenommenen brechen sollen. Das Problem: Der junge Mensch hatte sich gar nicht gegen seine Festnahme gewehrt. Dennoch bewertete das Landgericht, anders als die Erstinstanz, die Tat als legitim und bewahrte den Polizisten damit vor einer Geldstrafe. Die Idee, die dahinter steht, findet sich inzwischen auch in vielen Reaktionen auf das Urteil: Um echte oder vermeintliche Feinde des Staates abzuwehren, darf ein Vollzugsbeamter auch Gewalt anwenden, die in anderen Kontexten unverhältnismäßig wäre. Um diese Politik praktisch zu machen, ist es notwendig, jungen Antifaschist*innen generell zu unterstellen, sie seien gewalttätig und staatsfeindlich. Folgerichtig äußern sich auch viele Kommentator*innen: Der Demonstrierende habe Pech gehabt, wer Steine werfe, sei selbst schuld, wer eine Straftat begehe, müsse nun einmal damit rechnen. Dass auf der Versammlung keine Steine geschmissen wurden (übrigens bisher an keinem Montag) und der junge Mann auch keine Straftat begangen hatte, interessiert hier nicht. Dass der Staat sich von sogenannten Linken trotzdem bedroht sieht, erkennt man auch in der Reaktion auf die Ausschreitungen vom 12. Dezember in der Leipziger Südvorstadt. Auf die Ankündigung faschistischer Gruppen, an diesem Tag den linken Stadtteil Connewitz in Schutt und Asche zu legen, folgte ein Polizeieinsatz, der sich von Deeskalation völlig verabschiedet hatte und damit auch dazu führte, dass einige linke Gegendemonstrant*innen mit entsprechender Gegengewalt antworteten. Die Reaktionen auf diesen Tag waren teilweise abstrus: Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung sprach von „offenem Straßenterror“. Was daran interessant ist? Nach Leipzig waren sich wichtige oder weniger wichtige Politiker*innen nicht zu schade, hartes Vorgehen gegen die Gewalttäter*innen zu fordern und Dinge wie Gummigeschosse ins Gespräch zu bringen. Gleichzeitig war es nach den Randalen in Heidenau, den Angriffen in Freital und unzähligen anderen Übergriffen auf Geflüchtete und ihre Heime auffallend still. Niemand sprach von Terror. Niemand wollte Gummigeschosse einsetzen oder die Demonstrierenden als das bezeichnen, was sie sind: Rassist*innen, Faschist*innen, Nazis. Stattdessen wurde allzu oft ein politischer Hintergrund ausgeschlossen. Die Schlüsse, die man aus dieser Haltung zieht, sind klar: insgesamt betrachtet sind sogenannte „Linksextremist*innen“ schlimmer als „Rechtsextremist*innen“. Diese Wichtung wird auch nicht relativiert durch die Aussage von Herrn Jung nach dem Naziüberfall auf Connewitz vom 11. Januar, dass auch dies „offener Straßenterror“ sei. Vielmehr wird hier die ganze Misere deutlich: Obwohl das Ausmaß der Gewalt deutlich unterschiedlich war, ist es für den OB offenbar kein Unterschied. 1) Den Ursprung der Misere findet man in der sogenannten Extremismustheorie. Wird sie eingesetzt, um politische Aktionen zu bewerten, dann werden Motive und Auswirkungenausgeblendet. Das Augenmerk liegt einzig und allein in der Haltung der Akteur*innen zum Staat. Die Folge: Kräfte, die als linksextremistisch gelten werden gleichgesetzt mit denen, die rechtsextremistisch seien. Die jeweiligen Taten werden als gleichwertig angesehen. Will heißen: Eine entglaste Bushaltestelle und ein brennendes Asylsuchendenheim sind „gleich schlimm“. Man erkennt schon an diesem Beispiel, dass die Extremismustheorie einzig und allein den Sinn hat, linke Politik zu diskreditieren. 2) Indem sich damit der Fokus noch weiter gen links verschiebt, verlieren politische Akteur*innen Aktivitäten von rechts aus dem Auge. Damit ist erklärbar, wie es zu einem solch exzessiven Anstieg rechtsterroristischer Gewalt wie in Sachsen 2015 kommen konnte, während Staat und Polizei damit beschäftigt sind, vermeintliche „Linksextremist*innen“ zu verfolgen. Die Folgen dieser Politik sind verheerend: Ausländisch gelesene Personen befinden sich in Sachsen mehr und mehr in einer dauerhaften Bedrohungssituation, Linke werden von Staat und Nazis gleichzeitig verfolgt und auch der Staat verliert mehr und mehr seine Legitimationsgrundlage, weil es ihm nicht gelingt, brennende Geflüchtetenheime als das zu benennen und zu verfolgen, was sie sind: rechter Terrorismus. Damit geht der Schuss, Staatsfeind*innen zu denunzieren und zu verfolgen, nach hinten los. Ein Ausweg aus der Extremismusmisere wäre es beispielsweise, politische Handlungen nach Motiven und Folgen zu untersuchen. Dann würde man klar erkennen, dass das Motiv hinter Naziaktivitäten Menschenfeindlichkeit ist und ihre Folgen tendenziell tote Menschen sind. Man könnte genau so wirksam linke Akte klassifizieren, ohne sich Bedrohungsszenarien ausdenken zu müssen, in denen der Schwarze Block überall im Lande kommunistische Kommunen errichtet und die staatliche Ordnung zerstört.
1) Am 12. Dezember brannten neben Holzbarrikaden auch Mülltonnen. Außerdem waren entglaste Bushaltestellen und eine kaputte Bank zu beklagen. Am 11. Januar zogen mehrere hundert Nazis durch Connewitz, zerstörten etwa 30 Geschäfte und setzten eine Wohnung in Brand.
2) Dass auch historisch gesehen die Motivation hinter der Extremismustheorie Antikommunismus war, legt Wolfgang Wippermann sehr schön dar: http://gleft.de/1at