… viel Geld. Der einzige Weg zum Ziel: ARBEIT. Ich begab mich schnell auf die Suche nach einem annehmbaren Job, der mir auch durchaus Spaß machen könnte. Ich liebäugelte sofort mit der Stelle als Promoterin. Ich war froh, fast schon euphorisch, denn ich hatte einen Monat Arbeit vor mir in Berlin, Hamburg oder Frankfurt, die Unterkunft sollte mir gestellt werden. Perfekt: Tagsüber Geld verdienen und sich gleichzeitig für Gleichberechtigung und Meinungsfreiheit einsetzen und abends in das Nachtleben der Großstadt eintauchen. Für mich der Ausweg aus dem ewigen Dorfidyll in eine grenzenlose Autarkie, in der ich Verantwortung übernehme und mich selbst ausprobiere … Sorgen oder Ängste hatte ich gegenüber diesem Job nicht, ich sah alles als Herausforderung an und wollte diese annehmen. Ich freute mich auf kontroverse, interessante Debatten mit den verschiedensten Menschen aus allen Milieus. Das ist das, was ich als junger, aktiver Mensch wollte, vier Wochen lang Erfahrung auf der Straße einer Großstadt sammeln und nebenbei Geld verdienen. Es kam nun endlich der Tag, an dem alles begann. Hochmotiviert machten wir uns alle am Sonntag auf den Weg zu der notwendigen Schulung vor Arbeitsbeginn auf der Straße. Super, es war gemeinsames Frühstück angekündigt – Kaffee, Kippchen, Essen und mit netten Menschen in den Sonntagmorgen starten. Wir kamen an, die Teamleiter_in war da und jeder von uns bekam ein Glas Leitungswasser und es sollten neun Stunden Schulung beginnen, tolles Frühstück! Die Schulung war anstrengend und für mich auch etwas grotesk. Wir bekamen einen Gesprächsleitfaden eingehämmert und sollten diesen im Schlaf herbeten können, immer wieder übten wir lächeln und wie wir am besten unauffällig den Leuten das Geld aus der Tasche ziehen. Spontanität? Sich einfach auf den Menschen, der vor einem stehen wird, einstellen? Spontane Diskussionen? NEIN! – An diesem Punkt ging mein Traum von kontroversen Diskussionen mit Menschen verloren. Ich merkte, ich sollte keinen kennenlernen und mit ihm die Meinung über Missstände in aller Welt austauschen und mich selbst weiterentwickeln und die Menschen vielleicht zum Nachdenken anregen … Ich sollte den Menschen ihr Geld nehmen. Irgendwie nahm die Schulung kein Ende, als ich dachte, ich kann alles und bin bereit für den nächsten Tag, meinte die Teamleiter_in, es sei noch nicht einmal die Hälfte geschafft. Im Folgenden lernten wir auswendig, wie wir auf Aussagen von Passant_innen antworten, spontan und situationsabhängig? NEIN! Es wird allen das gleiche erzählt, keiner der Menschen wird individuell behandelt, denn es führt nur ein Weg zum Ziel! Die vorgeschriebenen Antworten gefielen mir teilweise nicht und ich sagte auch, dass ich solche Dinge nicht auf der Straße sage. Dinge wie: „Auf der Straße unterschreibe ich nicht, denn ich wurde schon oft enttäuscht von solchen Organisationen“, sollten so beantwortet werden: „Klar, das verstehe ich, aber schau mal, wenn du einmal von einem Mädchen enttäuscht oder hintergangen wurdest, hörst du doch trotzdem nicht auf, den Mädels auf der Straße hinterher zu schauen.“ Und nun: Das erste Mal auf der Straße stehen … unser Teamleiter war weg und wir waren von der ersten Minute auf uns selbst gestellt. Wir waren zu viert und tauschten uns natürlich auch zwischendurch aus und erzählten uns von Gesprächen, Erfolgen und Misserfolgen. In so einem Job wird man ständig psychisch belastet, denn die Menschen, mit denen man spricht, haben die verschiedensten Schicksale und Geschichten, die oft schockierend sind und nach solch einem Gespräch brauchte ich erstmal kurz Ruhe und wollte das natürlich auch mit meinem Team besprechen. Dann kam der Teamleiter zurück und es gab heftig Ärger! Wir haben nicht mit den Leuten zu quatschen, wenn wir merken, sie haben etwas zu erzählen, aber kein Geld – dann müssen wir das Gespräch abbrechen, sofort! Wir haben nicht unsere Meinung zu vertreten, wir dürfen nicht wir selbst sein. Wir wurden kontrolliert und überwacht, sobald man nicht lächelte oder Augenkontakt mit einem anderen Teammitglied hatte oder den Gesprächsleitfaden umstrukturierte, gab es sofort ein Einzelgespräch mit Vorwürfen und man bekam gesagt, dass man das schwächste Glied der Gruppe sei und alle anderen nur runterzieht. Mir wurde alle Menschlichkeit verboten, sobald ich sie leben wollte und ich selbst war, kam die Teamleiter_in und es gab Ärger und einen Anruf beim Chef, ich fühlte mich persönlich angegriffen und unterdrückt. Ich fühlte mich wie eine Maschine, die zwanghaft programmiert wurde, um Geld heranzuschaffen. 19 Uhr endlich vorbei, ich freute mich darauf, wieder ich selbst zu sein und nicht anderen Menschen etwas vorspielen zu müssen, weil ich Geld von ihnen haben möchte. Tja, Fehlanzeige, wie gesagt, was im Vertrag steht, ist doch egal! Wir arbeiten natürlich länger, machen unbezahlte Überstunden und bei einer vorsichtiger Nachfrage, warum wir immer noch arbeiten müssen, kam die Antwort: „Ich bestimme, wann Schluss ist und nicht ihr. Wir machen so lange, bis jeder die vorgegebene Anzahl an Spendenverträgen abgeschlossen hat.“ Als die Teamleiter_in endlich beschloss abzubauen, mussten wir noch eine Stunde in das Büro fahren für eine Teambesprechung und um aufzuräumen. In der ersten Teambesprechung gab es kein positives Feedback, nein wir wurden fertig gemacht, kritisiert und beleidigt. Nach dem ersten Tag fühlte ich mich wie ein Wrack – ich wollte und konnte nicht mehr. Ich wollte es mir selbst beweisen und machte weiter – doch die Unterdrückung hörte nicht auf. Unsere Gruppe war ein Dorn im Auge der Organisation! Wir verstanden uns untereinander zu gut, wir fragten zu viel nach und erlaubten uns sogar zu kritisieren – Oh mein Gott, wir nahmen es uns raus, unsere eigene Meinung frei zu sagen! Ich verstand die Welt ab diesem Zeitpunkt nicht mehr – ich erzählte den Menschen, dass sich die Organisation für Menschenrechte wie Meinungsfreiheit auf der ganzen Welt einsetzt und dafür tagtäglich kämpft, aber mir selber wurde als Arbeiterin der Mund verboten? Ja das war die Realität, der Kampf um Gleichberechtigung und Humanität wurde instrumentalisiert, um Menschen mit ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn das Geld aus der Tasche zu ziehen. WILLKOMMEN IM KAPITALISMUS. Ich hielt es nicht lang durch, bei dem Satz: „Menschenrecht ist nicht gleich Arbeitsrecht!“ musste ich einfach gehen. Ich arbeite nicht für eine wohltätige Organisation, die mich so verbiegt, damit ich funktioniere wie eine Maschine. Mein Traum von Großstadt und aktiver Arbeit war geplatzt. Völlig übermüdet, psychisch zerstört und traurig fuhr ich in mein Dorfidyll zurück. Es fühlte sich an wie ein Sektenaustritt, denn ich war endlich wieder frei! Ich durfte endlich wieder meine Meinung sagen, ich durfte wieder ich selbst sein ohne als aggressive, organisationsgefährdende, linke Feministin abgestempelt zu werden. Wieder kein Geld …
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