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Wohin führt Nationalismus?

Alle Jahre wieder steht ein internationales Herren-Fußballevent auf dem Plan. Alle Jahre wieder nutzt die sächsische CDU dies als Aufhänger für die Forderung nach einer neuen „Patriotismusoffensive“. Und alle Jahre wieder kriechen die „Partypatriot*innen“ hervor, um den nationalismuskritischen Volksverräter*innen zu zeigen, dass ihr Patriotismus ganz harmlos sei und sich nur auf die Erfolge der Nationalmannschaft bezieht. Dass dem nicht so ist, wurde bereits am Beispiel des WM-Finales 2014 bewiesen.1) Doch was ist Nationalismus, woher kommt er und wohin führt er? Eine allgemein geläufige Definition von Nationalismus lautet etwa, dass dieser die Überhöhung der eigenen Nation (also beispielsweise „dem Kollektiv der Deutschen“) über andere Nationen ist. Dem*der Nationalist*in werden Sätze wie „Deutschland über alles“, „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen“ oder andere nachgesagt. Der Patriotismus dagegen wird als der „kleine Bruder“ des Nationalismus gehandelt. Er sei lediglich die Liebe und der Stolz zur eigenen Nation, der andere nicht abwertet. Auch diese Abgrenzung ist Quatsch, wie bereits vor Jahren bewiesen wurde.2) Jetzt haben wir zwar mit Definitionen um uns geschmissen, so richtig an den Kern der Sache, nämlich was die Nation ist, sind wir noch nicht gelangt. Historisch betrachtet stellte die Idee der Nation für das Bürgertum die verwirklichte Freiheit dar. Als historische Idee stand sie für die Überwindung des Feudalismus hin zu einem Verein freier Bürger*innen. Die Verwandlung der unmittelbaren Herrschaft der Fürsten zur vermittelten Herrschaft von Ware und Kapital stellte jedoch nur einen Fortschritt, nicht das Heraustreten aus der gewaltförmig organisierten Gesellschaft dar. Das Konstrukt Nation nun ist im Sinne dieser Analyse eine Form von Herrschaft, die die Gesellschaft organisiert. Nation konstruiert eine Gemeinschaft („Die Deutschen“), die sich als einheitlich präsentiert. Diese Einheit kann ausschließlich mit dem Uneinheitlichen („Die Anderen“) gedacht werden. Das Kollektiv Nation fungiert nun als eine Art Schicksalsgemeinschaft, die die Gewaltförmigkeit des Kapitalismus transzendiert und als eine Art „Naturhaftes“ darstellt. Sich für Deutschland zu Tode zu arbeiten ist etwas Schicksalhaftes, das nicht zu hinterfragen ist. In diesem Sinne wird nun aber alles au- ßerhalb der Nation stehende als Böses betrachtet – seien es ausländische Kokurrenzkapitale, der „amerikanische Raubtierkapitalismus“ oder ganz plump die Juden™, die immerfort versuchen, die gute deutsche Wirtschaft, also die Nation, zu schädigen. Diese Argumentationsstrategien finden sich vielfach im modernen Diskurs wieder – nicht nur in Deutschland. So beschwören beinahe alle europäischen Staaten, dass die Aufnahme Geflüchteter ihre nationale Einheit bedrohe – das Außen bedroht wieder einmal das Innen. Daran geht die Idee Europa und ihre Institution EU als postnationales Projekt kaputt – anstatt sich um die Lö- sung der Krise zu kümmern, werden dutzendfache nationale Einheiten beschworen. Ein Regress, der dem modernen Nationalismus innewohnt. Dazu wird am 16. Juni. ausführlicher ein Referierender aus Plauen mit uns diskutieren. Über die Spezifik der deutschen Nation, die sich schon immer völkisch und nicht staatsbürgerlich konstituierte, referiert am 23. Juni Anne Helm im Lokomov, wenn sie über postnazistische Verschwörungsideologien, die sich prima im sich renationalisierenden Deutschland integrieren, referiert.

1) Eine Chronik von „Netz gegen Nazis“: http://gleft.de/1la

2) Der Jenaer Psychologe Christopher Cohrs schreibt dazu: „Menschen mit patriotischen Einstellungen lehnen Nationalismus nicht ab. Vielmehr geht beides oft Hand in Hand.“ (Vgl. http://gleft.de/1lb)