Das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) ist ein Konzept, das sich aus vielerlei Perspektiven begründen lässt. Bei manchen Befürworter_innen erfolgt dies aus einer humanistisch-ethischen, menschenrechtlichen Motivation heraus, nämlich jedem Menschen aufgrund seiner bloßen Existenz ein menschenwürdiges Dasein ohne Vorbedingungen zu ermöglichen. Andere wiederum fordern ein BGE aufgrund ihrer religiösen Überzeugungen. Hier sei z.B. an die „Bergpredigt“ Christi aus der Bibel erinnert. Die Notwendigkeit eines BGE kann allerdings auch marxistisch hergeleitet werden, was an dieser Stelle verdeutlicht werden soll. Bei seiner Analyse des Produktionsprozesses des Kapitals, d.h. im ersten Band seines monumentalen Werkes, stößt Marx auf eine Gesetzmäßigkeit kapitalistischer Entwicklung. Er weist nach, dass sich mit fortschreitender Akkumulation des Kapitals seine Zusammensetzung verändert. Je weiter die kapitalistische Produktionsweise sich entwickelt, desto mehr nimmt der Anteil des variablen Kapitalteils, der Arbeitskraft, der an der Mehrwertproduktion beteiligt ist, zugunsten des konstanten Kapitalteils ab, worunter Marx die Produktionsmittel, also z.B. Maschinen und andere technische Komponenten des Produktionsprozess versteht. Die allgemeine Entwicklungstendenz der kapitalistischen Produktionsweise führt demnach zu einer fortschreitenden Freisetzung von Arbeitskräften. Da die Mechanisierung und Rationalisierung des Produktionsprozesses sich in kapitalistischen Produktionsverhältnissen vollzieht, bedeutet diese „Freisetzung“ für die betroffenen Arbeiter_innen Not und Elend, egal übrigens ob sie weiterhin direkt am Produktionsprozess beteiligt sind oder in die stetig wachsenden „industriellen Reservearmeen“ hinein gestoßen, d.h. arbeitslos werden. Denn der_die Arbeiter_in im Kapitalverhältnis ist „doppelt frei“. Er_sie verfügt frei über seine_ihre Arbeitskraft, ist allerdings auch frei vom Besitz an Produktionsmitteln, womit er_sie seinen_ihren Lebensunterhalt selbstständig erwirtschaften könnte. Damit ist er_sie im Kapitalismus gezwungen seine_ihre Arbeitskraft, gleich unter welch schlechten Bedingungen um den Preis seiner_ihrer Existenz an das Kapital zu verkaufen. Damit geht kapitalistische Mechanisierung und Rationalisierung paradoxerweise einher mit steigenden Arbeitszeiten und Intensivierung der Arbeit für die, die sich noch im Produktionsprozess befinden, auch weil die „industriellen Reservearmeen“ vom Kapital zum Drücken der Löhne und allgemein als Kampfmittel gegen die Interessen der Arbeiter_innen benutzt werden, indem u.a. die Furcht der Arbeiter_innen vor dem Verlust ihrer Existenzgrundlage, nämliche ihre Arbeitskraft nicht mehr verkaufen zu können, ausgenutzt wird. Marx selber hat nie explizit ein Grundeinkommen gefordert. Überhaupt hält er sich insbesondere im „Kapital“ mit dem Ausblick auf eine sozialistische Zukunftsgesellschaft, bzw. mit Anleitungen, wie diese überhaupt erreicht werden soll, zurück und beschränkt sich auf die Analyse der historisch-dialektischen Fortentwicklung seines Forschungsgegenstandes, des Kapitals. Er geht davon aus, dass die Arbeiter_innen irgendwann das für sie untragbare Kapitalverhältnis rationell durchschauen lernen, Bewusstsein über ihre Lage gewinnen, sich organisieren und dieses Verhältnis in seiner gesellschaftlichen Gesamtheit revolutionär abschaffen und durch einen wie auch immer gearteten „Verein freier Menschen“ ersetzen werden. Die Geschichte der letzten 150 Jahre seit Erscheinen des „Kapitals“ zeigt, dass diese Annahme von Marx so nicht zutreffend ist. Ein Grund hierfür ist, dass Menschen, die um ihre Existenz fürchten, nur bedingt dazu in der Lage sind, rationell Verhältnisse zu reflektieren. Häufig suchen sie nach Schuldigen für ihre prekäre Lage, resignieren oder richten ihre daraus entstehende Wut und Aggressionen im schlimmsten Fall gegen jene, denen es noch schlechter ergeht als ihnen selbst. Ein bedingungsloses Grundeinkommen trägt daher nicht nur der von Marx entdeckten Gesetzmäßigkeit Rechnung, dass ein hochentwickelter Kapitalismus nur noch ein Minimum an Arbeitskräften für seine Reproduktion und Akkumulation benötigt. Es lässt ihn daraus außerdem nicht eine Waffe gegen die noch Beschäftigten schmieden, sondern macht diese Waffe im Gegenteil von vornherein stumpf, da die Gewährleistung auf eine auskömmliche Existenz vom „freien“ Verkauf der Arbeitskraft entkoppelt wird. Indem das Grundeinkommen den Menschen die Existenzangst nimmt, erleichtert es ihnen zudem, sich ihrer Lage und der gesellschaftlichen Verhältnisse bewusst zu werden und möglicherweise zu erkennen, dass das kapitalistische Ganze radikal in Frage zu stellen ist und nicht nur einzelne Symptome oder vermeintlich „Schuldige“. Das Grundeinkommen begründet damit nicht den „Verein freier Menschen“, den es unter kapitalistischen Herrschaftsverhältnissen nicht geben kann, aber es ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg dorthin. Es ist ein Stück revolutionärer Realpolitik, im Kapitalismus durch Reformen zu verwirklichen und trotzdem über ihn hinausweisend.
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