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Alle sprechen vom Lehrkräftemangel – aber da ist noch mehr

Das neue Schuljahr begann katastrophal: Lehrer*innen und Referendare sind Mangelware in Sachsen. Der Landesregierung war bekannt, wie viele Schüler*innen in den Klassen sitzen und wie viele Lehrkräfte nötig sind, um die in Rente gehenden (oder bereits gegangenen) zu kompensieren. Dabei geht es um nichts anderes als um die Grundlage, lehren und lernen zu können. Die Meldungen in den Zeitungen, im Fernsehen und nicht zuletzt in sozialen Netzwerken überschlagen sich. Im bundesweiten Vergleich von Gehalt, Stundenzahlen und Klassenteilern ist es kein Wunder, dass es viele gut ausgebildete Lehrer*innen nicht in Sachsen hält. Lehrer*innen beklagen Überlastungen. Dabei geht es in erster Linie gar nicht ums Geld: Der Mehraufwand, der verlangt wird, geht auf die Kraftreserven und auf die Nerven und erzeugt so Stress und letztlich macht er die Leute krank. In Regelschulen werden Schüler*innen mit Beeinträchtigung gesetzt, ohne zusätzliche Fachkräfte. Die CDU nennt das dann „Inklusion“. Die aktuelle Idee, Quereinsteiger*innen vor die Klassen zu stellen, ist kaum besser als jene, mit Russisch Brot Lehrkräfte anzuwerben. Sicherlich wird es unter diesen auch kluge und pädagogisch bewanderte geben. So kann z.B. ein Diplom-Biologe Bio-Lehrer werden – dies habe ich selbst erlebt. Aber in der Regel fehlt den Quereinsteiger*innen die pädagogische Ausbildung. Ein*e Dozent*in meinte neulich zu mir, ich solle mir gut überlegen, ob ich wirklich in Sachsen bleiben wolle. Völlig absurd, aber der sächsischen Realität geschuldet. Soweit, so bekannt. Doch dort kann unsere Kritik am Bildungssystem und der Bildungspolitik der sächsischen CDU nicht enden. Schulen sind Lernfabriken, neoliberale Konkurrenz geht erlernt, Schulnoten pressen Menschen in schlichte Bewertungsmuster, Schüler*innen wie Lehrer*innen sind im Lehrplan gefangen. Im Sachunterricht in der Grundschule steht immer der Igel drin. Wenn die Kinder jedoch über Krieg und die aktuelle politische Lage sprechen möchten, muss ein Zeitfenster gefunden werden. Die große Herausforderung für die nächsten Jahre ist die inklusive Schule. Angenommen, r2g würde mit 51 Prozent regieren: Was würden wir machen? Einige sagen, was in Italien 1977 ging, geht auch heute in Sachsen – „einfach“ die UN-BRK umsetzen. Punkt. Sollte eh schon seit Jahren laufen. Andere sagen, dass wir zuerst die Integration flächendeckend umsetzen müssen und in den nächsten sechs bis sieben Jahren die Schulen umbauen und qualifizierte Lehrkräfte ausbilden und einsetzen müssen. Zwischen diesen beiden Punkten laufen Fachdiskussionen. Zugegeben, beim Thema Schule fühlen sich fast immer alle als Expert*innen. Den Weg mal beiseite, entscheidend ist das Ziel. Ich möchte folgendes skizzieren: In einer Schule für alle lernen Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung gemeinsam. Förder- bzw. Sonderpädagog*innen lehren mit den Klassen- und Fachlehrer*innen im TeamTeaching zu zweit vor 20 Schüler*innen. Die Unterstützung für Menschen mit Beeinträchtigung ist immer abrufbar und wird nicht nach Etikett zugeteilt. Rahmenpläne stellen sicher, was grundlegend vermittelt werden soll (lesen, schreiben, rechnen, was war Auschwitz). Schüler*innen treffen demokratisch mit dem Personal Entscheidungen für die Schule (one woman* – one vote). Zeugnisse und regelmäßige Reflexionen zum Lernfortschritt werden schriftlich vom Team erstellt. Schulsozialarbeiter*innen und Psycholog*innen begleiten die Schüler*innen bei Problemen. Wenn wir ein solches, noch unvollständiges Bild einer idealen Schule im Kopf haben, kommen wir zum Kern der Sache und somit zum Ausgangspunkt: Wir brauchen mehr Lehrer*innen, das Gehalt muss den Westbundesländern angeglichen werden, die Stunden pro Woche müssen sinken. Team-Teaching und kleinere Klassenteiler fordern a) noch mehr Lehrkräfte und b) eine gute Infrastruktur, vor allem in ländlichen Raum. Ja, die Vorstellungen vom Jugendverband scheinen noch fern, doch wenn wir mit der Einstellungspolitik beginnen, sind wir auf dem richtigen Weg. Seit über zwei Jahrzehnten geht es bergab in Sachsen. Es wird Zeit, mehr mit SPD und Grünen zu reden und die Gewerkschaften zu ermutigen, den Mund aufzumachen. Der LandesSchülerRat, der zum Beispiel die Forderung nach Abschaffung der Schulnoten nicht mit der Linksjugend teilt, scheint in der Öffentlichkeitsarbeit kontra CDU vorbildlich. Von den Jusos hört man bundesweit vermehrt, „keine weitere große Koalition“, „für RotRot-Grün“ (Johanna Uekermann, Juso-Vorsitzende). Das kann uns als LINKE Mut machen.

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Die Bundeswehr zum Anfassen

Mit der Werbeaktion für Feriencamps in der „Bravo“, die die Leserinnen und Leser mit Versprechen von Abenteuerlust und Erlebnisreichtum lockten, hat sich die Bundeswehr im vergangenen Jahr selbst überboten. Nachdem die Werbung über die Arbeitsagenturen, Messestände, Militär-Unis, Jugendpressekongresse, Preisausschreiben, Musik-, Talent- und Sportwettbewerbe das Nachwuchsproblem nicht beheben konnten, hat sie ein neues Feld für sich erobert: Die Schule. Glasklar, dass der Bundeswehr das Feld nicht einfach so überlassen werden darf. Schließlich geht es hier nicht nur um irgendwelche Jobs, sondern letztlich auch ums Töten und getötet werden. Jugendoffi ziere bieten an, zwei Unterrichtsstunden zum Thema »Sicherheitspolitik« zu füllen. Im kommenden Schuljahr diskutieren sie erneut unter dem Deckmantel einer sachlichen und neutralen Aufklärungsarbeit über ihre Auslandseinsätze sowie über grundsätzliche Fragen von Krieg und Frieden. Die Ansichten und Absichten der Bundeswehr werden somit zu regulären Lerninhalten erhoben. Zudem werden durch das Bundesverteidigungsministerium Unterrichtsmaterialien zur Verfügung gestellt. Leider nehmen viele Lehrerinnen und Lehrer diese, beispielsweise eine Übersicht über Werte und Normen im Rahmen des Ethikunterrichtes, völlig unkritisch als Grundlage oder Ergänzung ihres Unterrichts und ermöglichen der Bundeswehr einen Eingriff in die Unterrichtsinhalte. So wird die Bundeswehr zum Beispiel in einem Atemzug mit dem Internationalen Roten Kreuz und Amnesty International als internationale Hilfsorganisation dargestellt. Hier wird vor allem das Versagen der Kultusministerien und Schulbehörden offenbar, die weder der militärpolitischen Indoktrination an Schulen offensiv entgegentreten, noch praxisnahe Alternativen zu den Bildungsfahrten oder Planspielen der Bundeswehr bieten. Diese staatlichen Angebote würden nicht nur die Attraktivität des Gemeinschaftskundeunterrichtes enorm steigern, sondern sind für die unabhängige politische Sensibilisierung und Meinungsbildung der Jugendlichen unabdingbar. Die Bundeswehr kann, selbst wenn sie will, gar kein ausgewogenes und vollständiges Bild zu Fragen der Außen-, Friedens- und Sicherheitspolitik vermitteln. Aber das militärische Führen und Kontrollieren von Konflikten wird in immer mehr Situationen offensiv als alternativlos propagiert. Krieg wird weiter normalisiert, ob humanitär etikettiert oder mit der Durchsetzung von „freien Rohstoff- und Handelsströmen“ gerechtfertigt. Die Folgen für die Zivilbevölkerung, die Natur und die betroffenen Gesellschaften sowie die politischen und ökonomischen Hintergründe der Einsätze zum Großteil unterschlagen. In den professionellen Werbekampagnen werden auch die Risiken für die Soldatinnen und Soldaten kaum erwähnt: Die Jugendlichen erfahren weder etwas über die posttraumatische Belastungsstörung, über den möglichen Tod, Verstümmelungen usw.; Stattdessen versucht sich die Bundeswehr als „normaler“ Ausbildungsplatz und attraktiver Arbeitgeber zu inszenieren. Doch die Werbung fällt nicht selten auf fruchtbaren Boden. Die Bundeswehr füllt eine Lücke, die sich sowohl in der Bildungspolitik als auch im Erleben vieler Jugendlicher aufgetan hat. Sie holt eine Vielzahl von ihnen in ihrer Perspektivlosigkeit ab und bietet ihnen sichere Arbeitsplätze und ein gutes Gehalt. „Eine Karriere mit Zukunft“ – also genau das, wovon wir jungen Menschen heute Welten entfernt sind. Aber wir brauchen echte Perspektiven, nicht bloß die Aussicht bei der Bundeswehr dem Tod ins Auge zu sehen. Krieg darf nicht zur Realität werden – schon gar nicht zur Realität junger Schülerinnen und Schüler. Deswegen ist unmissverständlich klar: Es darf keine Kooperationsvereinbarungen zwischen Kultusministerien und der Bundeswehr geben, die eine Dominanz von Militär und Kriegspräsenz an den Schulen schaffen – die Aufhebung all dieser bereits abgeschlossenen Verträge ist unabdinglich! Ich verwehre mich gegen die Vermittlung von Legitimierung und Legalisierung von Gewalt als gebräuchliche Form der Auseinandersetzung. Schulen sollen und müssen ein Ort der Bildung sein, nicht der einseitigen Rekrutierung.

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Aus dem Leben einer Schülerin

jugendseite_dkb7:10 Uhr, ich betrete das Schulhaus und begutachte den Vertretungsplan. Yeah, morgen zwei Stunden eher nach Hause, weil unsere Lehrerin krank ist. Mist! Aufgaben – wo bekomm ich die denn jetzt wieder her? Also geht der erste Weg zum Lehrerzimmer – haben Sie Aufgaben für die Ausfallstunden morgen? – Nein! Der zweite Weg zum Vertretungsplanmenschen – haben Sie Aufgaben für mich? – Nein! – Dann kann ich ohne Aufgaben nach Hause gehen? – Ja! Auf dem Weg ins Klassenzimmer stellt sich mir die Frage, ob die Aufgaben überhaupt als Ausfallstunden zählen.. Im Schulhalbjahr 2012/2013 fanden in Sachsen 10,19%¹ der Unterrichtsstunden nicht ordnungsgemäß statt. Besonders vom Ausfall betroffen sind allgemeinbildende Förderschulen und berufsbildende Schulen. Es ist deshalb dringend notwendig, den Ausfallstunden entgegenzuwirken, um allen Schüler_innen gleiche Chancen auf Bildung zu ermöglichen. Klassenzimmer, so voll wie immer, etwa 24 Schüler_innen drängen sich ins Physik-Fachkabinett. Schülerexperiment, Elektrizitätslehre – super! – Ihr dürft erst anfangen, wenn ich die Schaltung abgenommen hab! – Ich bin schon am -Wegräumen, während unsere Lehrerin in der letzten Reihe noch Schaltungen abnimmt. Diesmal hatte ich aber auch Glück – Messegeräte ohne Wackelkontakt. Als wir die Protokolle abgeben, fehlen den Menschen aus den hinteren Reihen noch einige Messwerte, während sich die vorderen Bankreihen gelangweilt in die Pause begeben. In der Pause stellt sich mir die Frage, warum sich so viele Schüler_innen um eine_n Lehrer_in streiten müssen und ob solch eine Situation überhaupt zu fairer Benotung führen kann… Kleinere Klassen und zusätzliche Lehrerkräfte würden für ein besseres Lernklima in den Klassen sorgen und den Lehrer_innen bessere Möglichkeiten bieten, auf die Lernenden einzugehen! Aufgrund der Altersstruktur der Lehrer_innen in Sachsen werden 2020 über 8000 Lehrkräfte fehlen. Nach 20 Minuten Erholung: Biologie. Zellen zeichnen, die systematische Darstellung einer Zelle nicht als Kopie sondern vom Polylux, auf den man schlagen muss, damit er angeht – wieso nicht als Kopie wie die Jahre zuvor? Weil den Lehrern keine Kopien bezahlt werden und wir sie nicht bezahlen dürfen – Lernmittel! In Biochemie wurde dafür eine andere Lösung gefunden – gebt mir euren USB-Stick, ich zieh euch die Arbeitsblätter drauf und ihr könnt sie euch dann von Stunde zu Stunde ausdrucken. Immer, wenn ich den Drucker mit Papier füttere, stellt sich mir die Frage, ob ich nicht günstiger kommen würde, wenn der Lehrer 50 Cent eingesammelt hätte… Im Frühjahr 2012 urteilte das Oberverwaltungsgericht Bautzen, dass die Kosten für Kopien von den Schulen zu tragen sind. Lehr- und Lernmittelfreiheit ist unbedingt notwendig und in unserer Verfassung festgeschrieben, aber es darf nicht bedeuten, dass keine Lernmittel mehr für die Schüler_innen zur Verfügung stehen.

¹ (2. Unterrichtsausfallstatistik des Landesschülerrates Sachsen)